Es ist Oktober, 6 Uhr morgens, ein gewöhnlicher noch dämmriger Wochentag. Ich sitze in einem faltbaren, stark nach Kunststoff riechenden und mit kaltem Wasser gefüllten Behälter auf der Terrasse. Die Knie angezogen, die Arme um mich geschlungen und mich selbst fragend, was ich hier eigentlich tue. Ich fühle mich zugegeben recht albern in meinem kleinen Gummitopf und hoffe, dass nicht gerade jetzt die Nachbarn im gewohnten Gänsemarsch ihren Weg zur Schule antreten.
Die Geschichte des Eisbadens
Kälte als therapeutisches Mittel ist nicht neu
Eisbaden oder Winterbaden. Angeblich sollen die Germanen schon ihre Neugeborenen im kalten Fluss gebadet haben um ihnen einen kraftvollen Start ins Leben zu bescheren. Auch von Goethe ist bekannt, dass er das Eis der Ilm aufgehackt hat, um im kalten Fluss zu baden. Und Sebastian Kneipp überlebte seine als unheilbar geltende Tuberkulose angeblich nur, indem er eiskalte Tauchbäder in der Donau nahm. Auch in der Medizin war Kälte, vor Entwicklung wirksamer Narkosen, ein gängiges Mittel Gliedmaßen vor Operationen zu betäuben oder wurde als Maßnahme bei chronischen Schmerzen eingesetzt.
Heute hat der niederländische Extremsportler Wim Hof Kälte wieder populär gemacht, indem es den Dip ins kalte Nass mit speziellen Atemtechniken kombiniert hat und die zahlreichen gesundheitlichen Vorteile unter der sogenannten Wim-Hof-Methode bewirbt.

Doch was bringt mich nun dazu, mich morgens der Kälte auszusetzen, statt eine warme Dusche zu genießen? Die letzten Monate, wenn nicht Jahre waren fordern und haben sehr stark an meinen Energiereserven, meiner Konzentrationsfähigkeit und meiner körperlichen Kraft genagt. Eine Krebserkrankung-/Therapie, die Rückkehr in den alten Job, der durch strategische Änderungen des Unternehmens nun zu 0% dem entsprach, wieso ich ihn einmal gewählt habe. Gleichzeitig (anfangs um meine eigene Gesundheit zu fördern, dann aus purer Begeisterung und Faszination für das Thema) habe ich nebenberuflich mehrere Ausbildungen und Weiterbildungen zur Ernährungsberaterin / Gesundheitscoach gemacht und den Grundstein für meine Selbstständigkeit in diesem Bereich gelegt. Auch wenn ich diese neue Tätigkeit liebe, so fordern die Doppelbelastung und die mangelnden Erholungszeiten ihren Tribut.
Ende des Sommers fühlte ich mich körperlich wie mental völlig ausgelutscht. Eine Lösung musste her, etwas das mir ohne riesigen Zeitaufwand Energie verleiht, die Stimmung hebt und dem recht lethargischen Stoffwechsel einen Tritt in den Hintern verpasst.
Die körperlichen Vorteile des Eisbadens
Kälte, vor allem in Kombination mit Wasser, hat zahlreiche Effekte:
- Durch das geringe Herabsetzten der Körperkerntemperatur (0,2 – max. 0,5 Grad) werden Anpassungsprozessen angeregt. So findet durch den akuten Streß vermehrt eine natürliche Reinigung und Auslese in den Zellen statt, die sogenannte Autophagie. Dabei baut der Körper nicht benötigte und krankhafte Zellbestandteile ab und verwertet diese.
- Durch Kälte wird vermehrt der Neurotransmitter Dopamin ausgeschüttet (ca das 2,5-fache). Dies sorgt anhaltend für gute Laune und Glücksgefühle. Studien haben ergeben, dass Kälteexposition ein wirksames Mittel gegen Depressionen ist. Ganz ohne Nebenwirkungen.
- Schon 5 Minuten starker Stress am Tag können die Auswirkungen von chronischem Stress langfristig abmildern.
- Kälte entleert die Glykongenspeicher, was zu einem stabile Blutzuckerspiegel beitragen kann. In der Kälte braucht der Körper deutlich mehr Glucose (Zucker), so wird die Glucose, die in Leber und in den Muskeln noch gespeichert ist, schnell verheizt. Der gesteigerte Bedarf erhöht zudem massiv die Insulinsensibilität, was zu einer Verbesserung eines Diabetes mellitus Typ 2 beitragen kann. Zudem wird dadurch ein antientzündlicher Effekt erzielt.
- Kälte regt den Stoffwechsel an, da der Körper bestrebt ist möglichst schnell wieder warm zu werden. Dies trägt auch zu einer schnelleren Regeneration und einer besseren Verdauung bei.
- Kälte regt die Durchblutung an, was zu einer Verbesserung von chronischen Schmerzen beitragen kann.
- Kälte wirkt entzündungshemmend, immunstärkend und regt die Schilddrüsenfunktion an.
- Der Sprung ins kalte Wasser trainiert die Willenskraft und mentale Stärke.
- Einen zusätzlicher gesundheitlichen Vorteil erhält man, wenn man in natürlichen Gewässern badet. Neben den positiven Kälteeffekten kommt zusätzlich der erdende Faktor, der durch das Wasser noch verstärkt wird.
Und wie endet meine Geschichte mit dem Gummitopf? Sie ist zu einer Lovestory geworden! Ich liebe meine morgendlichen 10 Minuten im kalten Wasser. 10 Minuten Stille, Konzentration auf den Atem, mich der Kälte hingeben. 10 Minuten, die mich wirklich glücklich machen und mich für den Tag wappnen. Das ist für mich der spürbarste Effekt. Die gute Laune und die gesteigerten Resilienz.

How To:
- Grundregel: Temperatur = Zeit (Bsp Wasser 5 Grad = Bad 5 Minuten)
- Langes, ruhiges Atmen. Beim Eintauchen langsam, lange ausatmen. Die Schultern entspannen.
- Den Kopf nicht untertauchen
- Trocknen in der kalten Luft maximiert den Effekt
- Nicht alleine in natürliche Gewässer gehen
- Kontraindikation: Herzerkrankungen / hoher Blutdruck. Für diese Beschwerden kann es sehr heilsam sein, sollte aber dann mit einem erfahrenen Therapeuten begonnen werden.
Zu langes, zu häufiges Kältebaden kann die Stressachse des Körpers extrem fordern. Wenn Du 2-3 Stunden brauchst, um wieder richtig warm zu werden, ist das normal. In der Zeit verbrennst Du auch noch mehr Kalorien. Wenn Du aber extrem müde wirst, dich komplett erschöpft fühlst oder sogar fieberst, war es definitiv zu viel. Don´t do that!
Ansonsten gilt: Mach einfach, jeder kann das! Und glaube mir, die kalte Dusche ist deutlich unangenehmer als der Sprung in den See.


Anmerkung:
Diesen Artikel habe ich bereits im letzten Jahr geschrieben. Ich liebe den Sommer, dennoch muss ich wirklich sagen: ich habe die morgendliche Kälte sehr vermisst und freue mich deshalb auf die wieder anstehende kalte Zeit. Neben dem stimmungsaufhellendem Effekt bin ich gefühlt deutlich aufrechter (weil kein eingezogener Hals) durch den letzten Winter gegangen, habe viel weniger gefroren und die winterlichen Viren sind auch an mir abgeprallt.
Jetzt ist die beste Zeit sich langsam ans Eisbaden heranzutasten. Also los, auf was wartest Du?!